Zeit-Ton Magazin

Letzten Samstag ist es über die Ö1-Bühne gegangen, das Finale des Ö1 Birds‘ Song Contest in der Sendung le week-end. Ein Song Contest, ein Sängerwettstreit der Vögel, das mag aufs erste gar nicht so recht nach Zeit-Ton klingen, aber das erwähnte Finale brachte diesbezüglich Erstaunliches zu Tage: Mehrere der ins Finale, auf und nahe der Stockerlplätze gelangten Beiträge passen ausgezeichnet in die Zeit-Ton Welt. Schon morgen, Donnerstag, 28. Mai 2015, entschlüpft ja übrigens die Phase 2 unseres Birds‘ Song Contests und zwar in Linz im Rahmen der Ausstellung „Höhenrausch“ und zwar dort dann unter dem Titel „Uncage The Birds“.

Aus all diesen Gründen präsentiert Christian Scheib nun im heutigen Zeit-Ton einige zukunftsweisende Vogelmusiken.

Ein Cellosolo von und mit Arnold Haberl alias noid, im Original ein circa einstündiges Klang-Exerzitium. Ob man die Urheberschaft dieser Klänge so eindeutig und umstandslos dem Cellisten noid zuschreiben kann, ist aber hinterfragenswert. Anders gesagt: Genau das ist das Konzept von noid. Er hat nämlich aufmerksam der Nachtigall gelauscht.

"LOVE - 64 mating calls of a nightingale transcribed for violoncello @ 10% speed" heißt dieses Stück aus 2012. Eine Komposition für Cello-solo, abgelauscht einer Nachtigall, die am 20. 3. 2011 um ca. 2 Uhr Früh am Kleylehof (nahe Nickelsdorf) aufgenommen wurde“. Und Arnold Haberl verrät noch folgende Details: „Die Originalaufnahme ist ca. 6 Minuten lang, sie wurde auf 10% der originalen Geschwindigkeit verlangsamt, in einzelne Rufe zerlegt und dann Ruf für Ruf für Cello transkribiert. Die Verlangsamung wirkt wie eine Lupe, unter der man Details erkennen kann, die dem menschlichen Ohr in originaler Geschwindigkeit verborgen bleiben würden.“

„Es ist eine ungewöhnliche Musik, sie hat keinen Rhythmus im herkömmlichen Sinn, viele Pausen, verwendet ungewohnte Geräusche, die Melodien folgen ungewohnten Regeln - vielleicht sollte man beim Zuhören gar nicht so sehr an Musik denken, vielmehr an eine Skulptur die man eine Stunde lang von allen Seiten betrachten kann. Zur Unterstützung dieser Art der Wahrnehmung werden bei einer live-Aufführung die 64 Blätter mit den Transkriptionen im Raum als Installation präsentiert. Beim Song Contest aufgetreten ist aber nicht diese Version des Stück, sondern jene, in der das Cello klang- und tempomäßig wieder zur Nachtigall wird. Arnold Haberl beschreibt den Vorgang, der dafür notwendig ist, um aus dem Cello-Solo ein über Lautsprecher abzuspielendes Stück zu machen, betont knochentrocken so: „recorded & pitched back to the original bird-speed".

BSC LOVE – 64 mating calls of a nightingale ...

Ein Ausschnitt aus einem Stück für Cello solo und anschließender Tempomanipulation, das sind Balzrufe einer Nachtigall und deswegen nennt der Künstler noid diese cellistische Annäherung an die Vogelwelt auch „LOVE“.

Eine weitere Birds‘ Song Contest Einreichung trägt den Namen „Urbirds singing the Sonata“ und das ist natürlich ein unüberhörbarer Hinweis auf die „Ursonate“ von Kurt Schwitters. Ein Mythos besage, notiert die Künstlerin Astrid Seme dazu, dass Vögel eine große Rolle bei der Entstehung der legendären Ursonate von Kurt Schwitters gespielt hätten. Hans Arp berichtet über einen gemeinsamen Urlaub folgendes: "In der Krone einer alten Kiefer am Strande von Wyk auf Föhr hörte ich Schwitters jeden Morgen seine Lautsonate üben. Er zischte, sauste, zirpte, flötete, gurrte, buchstabierte. Es gelangen ihm übermenschliche, verführerische, sirenenhafte Klänge“.

Seit Jahrzehnten wird mehr oder weniger ernsthaft darüber gerätselt, ob die Stare mehr Einfluss auf Kurt Schwitters, oder Kurt Schwitters mehr Einfluss auf die Stare hatte und Kunstprojekte sind dazu auch schon entstanden. Die Künstlern Astrid Seme glaubt gerne der Vermutung, die Vögel und ihre Gesänge wären für die Klangfindung von Kurt Schwitters „Ursonate“ von Bedeutung gewesen und baute ein kunstvolles Vogelstimmenstück, um den Vögeln gewissermaßen die Ursonate wieder zurückzugeben. In der räumlichen Mehrkanalfassung belässt sie übrigens Vogelstimmenaufnahmen von Vögeln, die ein betont stationäres Leben führen, immer im selben Lautsprecher, während flatterhaftere Wesen durchaus von Lautsprecher zu Lautsprecher durch den Raum hüpfen. Am Birds‘ Song Contest teilgenommen hat natürlich die Stereoversion. Astrid Seme und ein Ausschnitt aus ihrer Arbeit „Urbirds singing the Sonata“.

BSC Urbirds singing the Sonata

Eine Ursonate, zurückgegeben an ihre Inspiratoren, die Urbirds, ein Ausschnitt aus dem Stück „Urbirds singing the Sonata“ von Astrid Seme.

Ein Beitrag zum BSC, zum Ö1 Birds‘ Song Contest, kam ursprünglich einfach als Partitur, also klanglos. Im Finale nahm das Orgelstück dann erstmals Klang an und inzwischen ist dieser Beitrag von Thomas Schmögner sogar noch weitergewachsen. Sieben verschiedene Vogelarten der hierzulande heimischen Vögel hat der Komponist Thomas Schmögner belauscht und den Gesang in sieben kleine Orgelportraits übertragen. In der Grundversion folgen ebendiese aufeinander und so war das Stück auch letzten Samstag im Finale zu hören. Thomas Schmögner schreibt aber in seine Partitur:  „für Orgelpositiv oder mehrere Orgelpositive“. Dann nämlich beginnen die Vögel auch chorisch aufzutreten. Für den heutigen Zeit-Ton ist nun eine „Fuga a tre“ entstanden, eine dreistimmige Fuge für drei Orgelpositive mit sieben Vogelstimmen. Es beginnt die Gartengrasmücke, es wird enden mit der Amsel und wer sonst noch aller mitsingt wird nach den folgenden knapp drei Minuten verraten.

BSC Sylvia Borin Fuga a tre

Im Chor gesungen haben die Gartengrasmücke, der Teichrohrsänger, der Gartenrotschwanz, das Wintergoldhähnchen, die Kohlmeise, der Dompfaff und zuletzt die Amsel, eine Stimme verliehen hat ihnen der Organist Thomas Schmögner in seinem Stück “Sylvia Borin”. Das war jetzt soeben die Uraufführung der dreistimmigen Fassung.

Besonders Erstaunliches kann ja zu Tage treten, wenn man eine Schritt zur Seite macht und das Geschehen mit ein wenig Distanz und Ironie betrachtet. Die Wiener „Kaltnadel-Crew“ hat genau das getan und berichtet in ihrem Song über Hindernisse bei der leidenschaftlichen Suche nach raren Vögeln. Wobei man anmerken muss, die Kaltnadel-Crew hat sich schon auf in Österreich extrem  selten aufzufindende Vogelarten kapriziert, wie unser Ornithologe aus der Jury des Ö1 Birds‘ Song contests anmerkt. Mit ihren lateinischen Namen treten die Vögel im Song „Hab ich nicht gesehen auf“ auf und darauf beziehen sich die folgenden Anmerkungen unseres Ornithologen:

Anas falcata: Sichelente (in Ö als Irrgast nachgewiesen), Iduna caligata: Buschspötter (in Ö als Irrgast nachgewiesen), Oenanthe picata: Elstersteinschmätzer (in Ö nicht nachgewiesen).

Picus viridis: Grünspecht (häufiger Brutvogel), Branta leucopsis: Weißwangengans (seltener Durchzügler), Aquila nipalensis: Steppenadler (3 Nachweise in Ö als Irrgast), Anthus pratensis: Wiesenpieper (vereinzelter Brutvogel in größeren Wiesengebieten) und schließlich doch noch ein häufig in Österreich brütender Vogel, Fulicula atra: das Blässhuhn.

BSC Hab‘ ich nicht gesehn

Die Kaltnadel-Crew hat ironisch-selbstreflexiv von ihren Vogelbeobachtungsnöten erzählt, hier noch die Liste jener Vögel, die sie zwar möglicherweise auch nicht gesehen haben, aber aus deren Stimmen dieser Beitrag gewoben ist: Weißbart-Seeschwalbe, Bekassine, Türkentaube, Kuckuck, Kiebitz, Regenbrachvogel, Dohle.

Vier ausgewählte Beispiele aus dem Bereich der zeitgenössischen Musikproduktion, die im Rahmen des Ö1 Birds‘ Song Contests zu Österreich 1 geflattert kamen, zuletzt der Beitrag der Kaltnadel-Crew, zuvor waren Stücke von Arnold Haberl alias noid, von Thomas Schmögner und von Astrid Seme zu hören gewesen.

Fortgesetzt der Song Contest ab Donnerstag, dem Eröffnungstag des Linzer Höhenrausch im beziehungsweise am Oberösterreichischen Kulturquartier. Dort kann man als Besucher einzelne Vogelstimmen freilassen, also zum Klingen bringen und zwar an der allerhöchsten stelle des Höhenrausch, auf der obersten Plattform des Keine Sorgten Turms. „Uncage The Birds“ heißt diese Kooperation zwischen Ö1 und dem OÖ Kulturquartier dann in Linz. Das ist aber 2015 beileibe nicht die einzige derartige Kooperation: Gleich zwei musikprotokoll-Projekte feiern in Linz eine Wiedergeburt: Die Papageien der „metamusik“ werden in Linz ebenso mitspielen, wie man das musikprotokoll Kettenkarussell am Linzer Dach wieder besteigen kann. Die für das musikprotokoll 2014 eigens für das Karussell entstanden Stücke werden zu hören sein, aber auch vier ganz neue von oberösterreichischen Künstlern, von Irene Kepl, Christoph Herndler, Josef Novotny und Werner Puntigam. Ab morgen in Linz beim Höhenrausch.